Wie war das, als Ihnen der Arzt die Diagnose «unheilbar» überbrachte?
Michèle Bowley: Er hat mir Bilder der Metastasen in meinem Gehirn gezeigt und mir mitgeteilt, dass Operationen nichts mehr ausrichten können. Meine Therapie ist also eine palliative. Mir war sofort klar: Ich will so lange wie möglich eine gute Lebensqualität aufrechterhalten. Für mich ist es wichtig, dass ich mich ausdrücken und denken kann. Auf keinen Fall möchte ich das Leben in die Länge ziehen, in einem Zustand des «Dahinsiechens». Das habe ich dem Arzt, der mit mir ein sehr einfühlsames Gespräch geführt hat, so mitgeteilt. Und nun lebe ich volle Pulle in dieser mir noch verbleibenden Zeit.
Welche Vorkehrungen haben Sie für die Begegnung mit dem Arzt getroffen?
Ich ging gut vorbereitet und offen ins Gespräch. Dabei waren auch die Hilfsmittel der Krebsliga von grossem Nutzen. Ich fragte nach Chancen, Risiken und danach, was er als Arzt empfehlen würde. Mein Ex-Mann begleitete mich zu diesem Termin, denn vier Ohren hören mehr als zwei. Eine Patientenverfügung habe ich bereits gemacht, als der Krebs das erste Mal entdeckt wurde – zusammen mit der Krebsliga Aarau.
Sie kommunizieren sehr offen darüber, dass Ihre Tage gezählt sind. Wie reagieren andere Menschen darauf?
Viele sind schlicht und einfach irritiert. Andere wundern sich über meine Energie und können das nicht mit der Vorstellung eines baldigen Endes in Einklang bringen. Und in der Tat: Ich habe erst gerade einen Verein gegründet, der sich um meinen geistige Nachlass kümmert. Ich bin nochmals richtig aktiv geworden.
Was wird wichtig, was rückt in den Hintergrund angesichts des nahenden Todes?
Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit ist eine Chance, zu realisieren, wo ich stehe. Wollte ich früher immer besser werden, sage ich heute einfach Ja zu mir. Vieles kann ich inzwischen so annehmen, wie es ist. An meiner Begeisterung für die Arbeit hat sich hingegen nichts geändert; um sechs Uhr morgens bin ich bereits am Computer, manchmal bis um zehn Uhr abends. Ich will meine Botschaften bekannt machen und die vielen Rückmeldungen zeigen mir, wie wichtig dies ist.
Was sind das für Botschaften?
In vier Worten zusammengefasst ist dies: Lebe dein Leben – jetzt! Es geht darum, das Leben nicht nach den Erwartungen anderer zu gestalten. Nur wer sein Ding durchzieht, wird glücklich und macht ebenso andere glücklich. Wichtig sind mir natürlich auch die elf Schritte zur Stärkung der psychischen Gesundheit, für die ich eine eigene Umsetzung entwickelt habe. Diese erweisen sich insbesondere in meiner jetzigen Situation als nützlich; trotz der tödlichen Diagnose bin ich kein Opfer. Ich habe immer noch Kontrolle über einen Teil meines Lebens, kann aktiv bleiben, mir Hilfe holen, mich vernetzen. Kurz: Ich bleibe am Steuer. Es ging mir in meinem ganzen Leben immer darum, dass Menschen gut für sich schauen. Mit der Webseite «Psyche stärken» will ich solchen Themen nochmals eine Plattform geben. Das Leben ist ein Lernprozess, bis ganz am Schluss.
Haben Sie nach der Diagnose manchmal auch Gefühle wie Trauer oder Verbitterung verspürt?
Eigentlich nicht. Ich habe mich bereits intensiv mit dem Thema Sterben auseinandergesetzt, als ich meine Mutter in den Tod begleitete. Zeiten des Haderns gab es bei mir nicht – das hat mich selber etwas erstaunt. Vielleicht ist es, weil ich immer alles gemacht habe, was ich wollte; ich blicke auf ein erfülltes Leben zurück, durfte vieles lernen und meisterte zahlreiche Herausforderungen. Für mich ist es okay, nun zu gehen. Einige Leute in meinem Umfeld hofften auf Wunder und wollten mir spezielle Therapien nahelegen. Aber das kommt für mich nicht in Frage.
Gibt es Dinge, die in einer Palliativsituation vordringlich sind?
Neben der Regelung von administrativen und finanziellen Angelegenheiten sind es Fragen wie: Wer bedeutet mir etwas, wen will ich noch einmal sehen? Mit wem möchte ich mich versöhnen? Doch auch der liebevolle Umgang mit sich selber ist etwas vom wichtigsten überhaupt in dieser Phase. Ich selber will auch die allerletzte Zeit gut planen, möchte ich doch meine Lebensqualität bis ganz am Ende aufrechterhalten. Im Moment lebe ich in einer Alterswohnung, wo ich nach Bedarf Unterstützung erhalte. Meine letzte Station wird voraussichtlich ein Hospiz sein. Ich versuche, es mir so leicht wie möglich zu machen und gebe Sachen jetzt auch ab, denn es kann jederzeit zu Ende sein.