Interview: Danica Gröhlich
Frau Dr. Caroline Hertler: Die Diagnose Krebs löst Unsicherheiten und Ängste aus. Was belastet Betroffene besonders?
In der Tat leiden Menschen mit Krebserkrankung überdurchschnittlich an Ängsten und depressiven Störungen. Die Konfrontation mit dem Lebensende löst existenzielle Ängste aus – wie die Angst vor dem Sterben und dem Tod. Auch die Sorge vor dem Zurücklassen der Liebsten kann auftreten. Ebenso Ängste bezüglich des Krankheitsverlaufs oder der Symptome – zum Beispiel Angst vor Schmerz und Atemnot. Solche Sorgen sind im Alltag immer präsent und beeinträchtigen die Lebens qualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen.
Wie möchten Sie mit Ihrem Forschungsprojekt solche Ängste von Menschen mit Krebs lindern?
In unserer Studie, welche von der Krebsliga unterstützt wird, geht es um den Einsatz von Ketamin als antidepressives und angstlösendes Medikament. Unser Ziel ist der Einsatz von Ketamin-Nasensprays für unsere Patientinnen und Patienten zu Hause. Dafür arbeiten wir auch mit der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zusammen.
Welche Vorteile hat ein Nasenspray?
Ein Nasenspray ist leicht zu bedienen und gibt die vorgegebene Dosis ab. Die Handhabung ist für die Betroffenen sehr einfach. Im Gegensatz zu den klassischen Antidepressiva als Tabletten wirkt Ketamin in einem Spray direkt über die Nasenschleimhaut und gelangt so schneller ins Blut. Auch benötigt es nicht die klassische Eindosierungszeit über mehrere Wochen. Daher ist eine Entspannung in belastenden Situationen rascher spürbar. Und idealerweise treten weniger Nebenwirkungen auf.
Ketamin gilt auch als Droge ohne Rausch: Wie wird es bislang verwendet?
Eigentlich ist Ketamin ein Schmerzmittel, das in der Schmerzmedizin und Anästhesie seit Langem bekannt ist und viel verwendet wird. Neu wurde auch ein angstlösender und antidepressiver Effekt gezeigt. Erzeugen von Rauschzuständen ist nicht das Ziel der Substanz. In der Palliative Care arbeiten wir häufig mit Medikamenten, die missbräuchlich verwendet werden können. Man muss aber sagen, dass diese an der Basis Medikamente zur Behandlung von Symptomen sind und wir sie auch nur so einsetzen. Hier wenden wir Ketamin im Sinne eines sogenannten «Drug repurposing» an, also dem Einsatz einer gut bekannten Substanz in einem neuen Kontext und in einer niedrigen Dosierung.
Kann es dennoch zur Ketamin-Abhängigkeit kommen?
In unserer Studie wird das Ketamin kontrolliert abgegeben. Über diesen Zeitraum sehen wir kein Abhängigkeitspotenzial. Wie in allen Studien wird engmaschig dokumentiert, wann wie viel Medikation abgegeben wird. Missbräuchliche Verwendungen würden daher rasch erkannt. Ich bin diesbezüglich nicht beunruhigt. Unsere Patientinnen und Patienten sind meist zurückhaltend, Medikamente zu beziehen. Sie sind eher besorgt, zu viel einzunehmen.
Wer soll künftig von den Ergebnissen Ihrer Studie profitieren?
Ziel unseres Forschungsprojektes ist die rasche Entlastung und Symptomlinderung der Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankung. Wenn die Anwendbarkeit und der positive Effekt gezeigt werden können, könnte der Ketamin-Nasenspray in Zukunft auch weiteren Betroffenen daheim helfen.
Und was wünschen Sie sich generell für die Forschung im Bereich Palliative Care?
Ich erhoffe mir, dass wir auch und insbesondere bei Patientinnen und Patienten der Palliative Care mit neuen Ansätzen Leid lindern können. Diese Gruppe wird oft nicht ausreichend in Studien berücksichtigt. Entsprechend braucht es angepasste Studienansätze, die auch diesen Menschen Möglichkeiten für eine Linderung ihrer Symptome bieten. Dafür setze ich mich gerne jeden Tag aufs Neue ein.