Eigentlich hatte sich Ferdinando Miranda auf die Festtage 2021 gefreut. Ein bisschen Zeit zum Entspannen, die Familie und Freunde zu sehen und mit ihnen zusammen zu sein. Und sich endlich von der vielen Arbeit zu erholen. Doch er fühlte sich weiterhin unwohl. Die Schmerzen im Darm, Unterleib und Rücken nahmen sogar noch zu. Er war erschöpft und verlor an Gewicht. Bis es nicht mehr ging.
Statt mit einem rauschenden Fest ins neue Jahr zu starteten, landete er am Silvesterabend 2021 in der Notaufnahme. «Laut den Ärzten war ein verdächtiger, lymphatischer Prozess im Gange», erzählt der heute 37-Jährige.
Schon am 10. Januar 2022 begann die Chemo- und Immuntherapie. «Ich war völlig geschockt, weil alles so plötzlich passierte. Es gab keine Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten oder Abstand zu gewinnen.» Wegen der Schmerzen und des Morphiums konnte er kaum klar denken.
Anaplastisch-grosszelliges Lymphom (ALCL) im Stadium 4, ein aggressiver Blutkrebs. Was schrecklich klingt, half ihm, die Schmerzen besser zu ertragen. Denn nun hatte das Übel einen Namen. Die Behandlungen eine Ursache. Und ein Ziel: den Krebs zu überwinden.
Ferdinando Miranda wollte ein aktiver Patient sein. «Ich stellte den Ärztinnen und Ärzten viele Fragen und wollte Bescheid wissen über meine seltene Krebsart.» Zudem musste er vor der Behandlung grundlegende Entscheidungen treffen – zum Beispiel, ob er Sperma einfrieren lassen will, um später Vater werden zu können.
Die Behandlung dauerte ein halbes Jahr, die Zeit war ein einziges Auf und Ab. Von den Schmerzen her, aber auch psychisch. Doch Ferdinando suchte sich Hilfe. Er sprach viel mit engen Freunden, versuchte es mit Meditation, Hypnose und Energiebehandlungen, bewegte sich täglich so gut es ging. Zudem malte er in Kunsttherapiestunden. «So konnte ich alles, was mich belastete, auf eine andere Art erzählen und sichtbar machen.» Auch Sitzungen bei einem Psychiater oder Treffen in Gesprächsgruppen halfen ihm auf dem Weg mit Krebs. Dabei kamen auch Themen wie der Tod zu Sprache. Um administrative Dinge mit den Versicherungen oder mit dem Arbeitgeber zu regeln, nahm Ferdinando eine Rechts- und Sozialberatung der Krebsliga in Anspruch.
Schon nach dem zweiten Zyklus von sechs geplanten Chemotherapie- und Immuntherapie-Zyklen zeigte sich, dass die Behandlung anschlägt. «Das gab mir eine Extraportion Mut und Kraft.»
Auch die Krebsliga war ein Teil auf dem Weg zurück. Ferdinando Miranda holte sich Wissen aus verschiedenen Broschüren. Ob zum Thema Ernährung, Schlafprobleme, Müdigkeit, berufliche Rückkehr oder Sexualität – «Die Broschüren haben mich weitergebracht.»
Heute geht es Ferdinando Miranda «sehr gut», wie er sagt. Das zeigen auch die jährlichen Kontrolluntersuchungen am Universitätsspital Genf (HUG). Sein Blick aufs Leben ist ein anderer, «seit ich am eigenen Körper erfahren habe, dass unser Dasein auf der Welt ganz plötzlich enden kann. Ich bin zum Beispiel schneller gerührt, wenn ich einen blühenden Baum, einen Sonnenuntergang oder ein Gemälde von Caravaggio sehe. »
Zudem möchte sich der Mann mit Masterabschlüssen in Rechtswissenschaften und Gender Studies auch beruflich umorientieren. Nach zehn Jahren Anstellung an einem Zentrum der Universität Genf sucht er nun nach einer Arbeit im Bereich Kunst, Kultur und Gesundheit.
Und jedes Mal an Silvester feiert Ferdinando Miranda nicht nur das neue Jahr, sondern auch das Leben.
Text: Pia Schüpbach / Bild und Video: Jimmy Roura (September 2024)