Patricia Müller, Fachspezialistin Rechtliche Beratung bei der Krebsliga Schweiz:
Guten Tag
Danke für Ihre Anfrage.
Sie sind vor 5 Jahren an einem Brusttumor erkrankt und werden zur Zeit noch mit Tamoxifen behandelt. Sie arbeiten in einem 80%-Pensum und bemerken, dass Sie am Feierabend keine Kraft mehr haben, um etwas zu unternehmen. Sie überlegen sich daher, Ihr Arbeitspensum weiter zu reduzieren, aber Sie möchten nach Möglichkeit keine Lohneinbusse erleiden.
Eine Rente der Invalidenversicherung würde eine allfällige Lohneinbusse wenigstens zum Teil ausgleichen.
Aber die Invalidenversicherung berücksichtigt nur Leistungseinschränkungen, die sich eindeutig am Arbeitsplatz bemerkbar machen und die sich zudem klar auf ein gesundheitliches Leiden zurückführen lassen. Solange Sie Ihre Arbeit ausführen können, Ihre Energielosigkeit sich (noch) nicht auf Ihre Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirkt, erfüllen Sie die rechtlichen Voraussetzung zum Bezug einer Teilrente der Invalidenversicherung nicht. Die Invalidenversicherung würde allenfalls unterstützend wirken, wenn Sie überzeugend darlegen könnten, dass sich in naher Zukunft Ihre Leistungsfähigkeit dermassen verschlechtern wird, dass Sie Ihre Arbeit nicht mehr wie gewohnt ausführen könnten, also eine Invalidität droht.
Es ist nicht einfach, die Invalidenversicherung zu überzeugen. Sie würde nachfragen, ob am Arbeitsplatz bereits Rücksicht auf Ihren Gesundheitszustand genommen wird. Auch würde die IV von Ihrem Arbeitgeber wissen wollen, ob bereits eine Leistungseinschränkung besteht, Sie beispielsweise mehr Fehler machen als früher oder er Ihnen bereits nicht mehr alle Arbeiten übertragen kann. Die IV würde sich dafür einsetzen, dass Ihr Arbeitsplatz so gestaltet wird, dass Sie weiterhin arbeiten können.
Eine IV-(Teil-)Rente würde erst ausgesprochen, wenn alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und wenn sich Ihr Gesundheitszustand soweit verschlechtert hat, dass Sie mindestens während eines Jahres 40% invalid sind. Ihren schlechten Gesundheitszustand müssten Sie mit Arztberichten, beispielsweise Ihrer Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, belegen. Ihre Ärztin müsste darlegen, auf welcher Diagnose die Erschöpfung beruht und welche Behandlungen nicht zum erwünschten Erfolg geführt haben. Sie könnte Ihnen beispielsweise eine Cancer-Related Fatigue diagnostizieren und darlegen, welche Medikamente anstelle von Tamoxifen verschrieben wurden, um die Müdigkeit zu verringern.
Sie wären vermutlich bereits in einer psycho-onkologischen Behandlung und Ihre Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie würde ebenfalls einen Bericht erstellen.
Sie müssten darlegen, an welchen Bewegungsprogrammen Sie teilgenommen haben; und dass diese Ihre Leistungsmöglichkeiten leider nicht verbessert haben.
Wenn Sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit machen, empfehle ich Ihnen, darüber mit Ihren Ärzten zu sprechen und der Ursache der Kraftlosigkeit auf den Grund zu gehen. Fragen Sie, ob Ihre Müdigkeit eine Nebenwirkung von Tamoxifen sein könnte und ob es allenfalls ein anderes Präparat gibt, welches für Sie besser geeignet ist. Erkundigen Sie sich, welche Therapien Sie unterstützen könnten. Hilfreich könnte Ihnen auch die Broschüre «Rundum müde» der Krebsliga Schweiz sein.
Falls Sie tatsächlich Ihr Arbeitspensum aus gesundheitlichen Gründen reduzieren wollen, so ist es wichtig, dass ein Facharzt Ihnen die Reduktion empfiehlt. Verlangen Sie einen schriftlichen Bericht Ihres Arztes, in dem er eindeutig festhält, dass er Ihnen eine Kürzung Ihres Arbeitspensums aus gesundheitlichen Gründen ans Herz legt. So könnten Sie in einem späteren IV-Verfahren beweisen, dass Sie nicht aus anderen Gründen Ihr Pensum reduziert haben. Informieren Sie auch Ihren Arbeitgeber über den Grund der Reduktion und stellen Sie sicher, dass Sie dies beweisen können. Anderenfalls wird die Invalidenversicherung davon ausgehen, dass Sie aus privaten Gründen, z.B. um mehr Sport treiben zu können, Ihre Arbeit reduzieren. Diese Unterscheidung hat für die Berechnung des IV-Grades und für die Höhe der Rente eine grosse Bedeutung.
Vielleicht besteht die Möglichkeit, Ihre Arbeitslast innerhalb des 80%-Pensums etwas zu reduzieren. Es gibt Arbeitgeber, die sehr verständnisvoll reagieren, wenn sie erfahren, wie anstrengend die Arbeit geworden ist.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich gut erholen und Ihren Feierabend wieder geniessen können und dass Sie die nötige ärztliche Unterstützung erhalten.