«Ich bin eine 47-Jährige Frau. Bei mir wurde Brustkrebs (5 Tumoren) mit Chirurgie, Chemotherapie und Radiotherapie behandelt. Seit 4 Monaten nehme ich Tamoxifen. Ich habe kein Verlangen mehr nach Geschlechtsverkehr mit meinem Mann und die Situation ist ziemlich schwierig für mich. Was kann man machen? Ich habe 3 Sitzungen bei einem Sexualtherapeuten gehabt. Er meint/sagt, alles sei gut bei mir. Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort Freundliche Grüsse»
— Frage von Silvia (5. Mai 2020)
Simone Dudle, Sexualberaterin:
Sie schreiben von vielen verschiedenen Therapiemethoden, welche bei Ihnen zur Behandlung des Brustkrebses angewandt wurden und noch angewendet werden.
Jede einzelne Behandlungsmethode kann Auswirkungen auf das Körpergefühl, die Scheidenflora, die Wahrnehmung von (Schmerz-)Empfindungen und die sexuelle Lust haben. Bei einem so vielseitigen Therapieangebot mit grossen Nebenwirkungen auf die Sexualität, ist es kaum erstaunlich, dass Ihr Verlangen sich zur Zeit verabschiedet hat.
Könnte es sein, dass der Sexualtherapeut von dieser häufigen und erklärbaren Reaktion auf die Behandlungsmethoden gesprochen hat, als er meinte, alles sei gut bei Ihnen?
Das fehlende Verlangen auf Geschlechtsverkehr stellt für Sie eine schwierige Situation dar. Ist dies schwierig für Sie selber, für Ihren Mann oder in Bezug auf die gewohnte Sexualität als Paar?
Vielleicht hat der Geschlechtsverkehr für Sie nach Ihrer Erkrankung eine andere Bedeutung bekommen und oder andere Bedürfnisse wie Nähe, Geborgenheit, Schutz, Zärtlichkeit, etc. rücken in den Vordergrund und verlangen, vermehrt gesehen zu werden?
Das Verlangen nach Geschlechtsverkehr kann man leider nicht einfach so machen.
Es geht mehr darum, herauszufinden, welche Sexualität und welche Formen von sinnlichen Begegnungen nach der Erkrankung zu einem passen. Und wie Genuss mit allen Sinnen neu eingeladen werden kann. Was wäre für Sie aktuell eine entspannte, wohltuende und genussvolle Begegnung mit Ihrem Mann, ganz unabhängig von Geschlechtsverkehr?
Krebs verändert das eigene sexuelle Verlangen und die sexuellen Bedürfnisse. Dadurch gibt es die gewohnte, alte Paarsexualität so nicht mehr. Das ist eine Herausforderung für beide Seiten. Umso mehr ist ein offener Austausch mit dem Partner wichtig, um gegenseitig zu erfahren, wo der andere sich körperlich und emotional nach der Erkrankung befindet. Dann kann man als nächsten Schritt zusammen schauen, wie man die gemeinsame Sexualität, welche weit mehr ist als der Geschlechtsverkehr, neu gestalten will.
Solche Gespräche können anspruchsvoll sein, und vielleicht bietet es sich dann an, diese in Begleitung durch eine Sexo-Onkologische Fachperson zu führen. Wichtig erscheint mir hier, dass Sie sich mit Ihrem Anliegen gut aufgehoben und verstanden fühlen.
Eine Antwort per E-Mail kann nie alle persönlichen Aspekte Ihrer Frage ausreichend beantworten.
Es ist die Auseinandersetzung mit den eigenen sinnlichen Bedürfnissen und Wünschen, dem Adressieren an sich selbst und Ihren Mann und der Neugestaltung der Paarsexualität.
Sie haben bereits wichtige und mutige Schritte unternommen.
Gerne ermuntere ich Sie, weiter unterwegs zu sein für sich selbst und für eine zu Ihnen passende Sexualität im Heute.
Alles Gute!
Simone Dudle