Am 29. November 2020 geht allerdings nichts mehr. Barrile erwacht zum wiederholten Mal schweissgebadet und mit starken Bauchschmerzen. Er fühlt sich sehr schwach und hat über 39 Grad Fieber. Marco Hardmeier begleitet seinen Mann notfallmässig ins Zürcher Stadtspital Triemli. Barrile vermutet einen akuten Darmdurchbruch – aber die Computertomografie bringt den Schockbefund: ein hoch aggressives Lymphom. Die Erkrankung des Lymphsystems ist bereits fortgeschritten und zeigt zahlreiche Tumoren. Der grösste ist 20 Zentimeter gross, liegt versteckt hinter dem Darm und stösst gegen die Bauchdecke – der Grund für die heftigen Bauchschmerzen. «Niemals hätte ich an Krebs gedacht. Ich hatte das Gefühl, ich sei im falschen Film», berichtet Barrile.
Diese Hiobsbotschaft versucht der Politiker zu verdrängen, er will nach Hause und am nächsten Tag an die Wintersession nach Bern. Doch die behandelnde Ärztin weist Angelo Barrile auf den Ernst der Lage hin und erklärt, es sei nötig, im Spital zu bleiben. «Als Arzt realisierte ich, dass ich nicht Heim kann. Gleichzeitig wollte ich mein Leben wie bisher weiterleben.» Barrile bleibt schliesslich und erhält Corona-bedingt das letzte Bett auf der Onkologiestation. «In dem Moment realisierte ich, dass ich nicht mehr Arzt bin, sondern Patient», so Barrile.
Nach dem Abschluss aller Untersuchungen wird die Krebsdiagnose ein paar Tage später bestätigt: hochaggressives, grosszelliges B-Zell-Lymphom. Angelo Barrile lässt sein Nationalratsmandat und seine Tätigkeit als Hausarzt in einer Zürcher Gruppenpraxis vorübergehend ruhen. Auf der Webseite der Krebsliga laden er und sein Mann Broschüren zur Krebsart (siehe Box) und weiteres Informationsmaterial herunter. «Dieses Angebot war für uns beide sehr wichtig. So konnten wir eine sachliche Einordnung der Krankheit vornehmen», sagen sie.
Ein Lymphom erweist sich in vielen Fällen als gut heilbar, bei Angelo Barrile ist es hingegen schon so weit fortgeschritten, dass seine Fünf-Jahres-Überlebenschancen laut den Ärzten nur knapp 30 Prozent betragen. Barrile zeigt sich zunächst kämpferisch und entwickelt Durchhalteparolen: «Ich schaffe es nur, wenn ich an diese kleine Chance glaube! Es gibt keinen Plan B! Ich muss diese Chance packen!», sagt er sich immer wieder.