Für die Entscheidung, ob er seine Prostata entfernen lassen sollte, liess er sich Zeit. Ein Prostatakarzinom wächst gewöhnlich nicht sehr schnell. Doch: «Es ist ein Entscheid zwischen König und Bettler», gab ihm der Arzt mit. Ein Teil der Männer leidet nach dem Eingriff unter Impotenz oder Inkontinenz. «Und das passt überhaupt nicht zu unserer Gesellschaft. Niemand spricht über Potenzstörungen oder verminderte Blasenkontrolle. Alles muss funktionieren und Männer wollen überall die Besten sein. Zudem: Nirgendwo wird so viel gelogen wie beim Lohn und beim Sex», findet Marcus.
Angst vor Metastasen
«Wenn ich die Prostata nicht operiere, geht dann mein Lebensabschnittspartner, das Karzinom, auch wieder mal weg?», fragte Marcus seinen Urologen. Dieser verneinte. Da war für Marcus klar: Trotz der Risiken würde er die Prostata operieren. Als Pfleger hatte er mitbekommen, dass Menschen mit Knochenmetastasen grosse Schmerzen haben. Er dachte sich: Lieber die Potenz verlieren als das Risiko für Metastasen einzugehen.
Marcus entschied sich gegen die Operation durch einen Roboter und legte sich Ende 2020 unters Messer. Sein Bauch wurde aufgeschnitten wie bei einem Kaiserschnitt; alles verlief nach Plan. Die Operation fand an einem Montag statt, am Samstag konnte er den Katheter schon wieder wegnehmen. Marcus trank extra viel, doch der Arzt sagte ihm, das werde noch nicht funktionieren mit Pinkeln. Für viele Männer sei es nach der Operation schwierig, gleich wieder Wasser zu lassen. Als Marcus das Gefühl hatte, er müsse auf die Toilette, konnte er «bisle, als wäre nichts gewesen». Er fügt an: «Ich hatte Megaschwein.»
Vorübergehend plagte ihn eine leichte Inkontinenz. «Wenn ich viel trinke und huste, niese oder Sport treibe, dann muss ich bis heute etwas aufpassen.» Sein Urologe sagte: «Ich bin nicht operiert, aber ich habe die gleiche Herausforderung.» Marcus ist erleichtert, dass er die Blasenkontrolle zurückhat. Inkontinenz hätte ihm im Alltag mehr Sorgen bereitet als Impotenz.
Vielen geht es gleich
Als Marcus in seinem Kollegenkreis über seine Erfahrungen sprach, realisierte er rasch: Einige hatten schon Ähnliches erlebt. «Wenn sie etwas lockerer drauf waren, gab es plötzlich offene Gespräche oder sie stellten mir Fragen.» Auch sein Zahnarzt stupste ihn mal an und fragte, wie Marcus denn gemerkt habe, dass er Prostatakrebs habe.
Marcus weiss, dass er «viel Glück hatte». Heute kann er wieder mit seiner Frau schlafen, als wäre nichts gewesen. Er hütet die Enkel, geht wandern, langlaufen, hat das Töpfern entdeckt und lebt ein sehr aktives Leben. Im Sommer hilft er seinem Bruder beim Heuen auf dem Bergbauerhof. Jammern? «Nein, das bringt einen nicht weiter.»