Als Linda mit 42 Jahren an Brustkrebs erkrankte, riet ihre Ärztin ihr zu einem Gentest. Das Resultat bestätigte eine vererbbare Mutation, die ihr Risiko für weitere Krebserkrankungen deutlich erhöhte. «Ich entschied mich für eine vorbeugende Brustentfernung und bereue es nicht. Ich wollte meine Gesundheit aktiv mitgestalten», erzählt sie rückblickend. Nur eines hätte sie sich anders gewünscht: «Ich hätte mit der Genetikerin abmachen sollen, wie sie mir das Resultat bekannt gibt. Ich war gerade unterwegs zur Chemotherapie, als sie mich frühmorgens anrief. Das ging mir alles viel zu schnell und ich blieb mit vielen offenen Fragen zurück.»
Solche Situationen zeigen: Ein Gentest liefert nicht nur medizinische Informationen, sondern wirft auch emotionale und ethische Fragen auf – besonders, wenn das Resultat eine erbliche Veranlagung zeigt. Etwa 5 bis 10 Prozent aller Krebserkrankungen gehen auf bekannte genetische Mutationen zurück. Dazu zählen zum Beispiel Veränderungen in den BRCA1- und BRCA2-Genen, die das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs erhöhen. Es gibt aber auch eine Vielzahl weiterer Mutationen, die ebenfalls einen Einfluss auf das Krebsrisiko haben. Gene, die von diesen Mutationen betroffen sind, spielen häufig bei der Reparatur von Zellschäden eine Rolle.
Was geschieht beim Gentest?
Zunächst findet eine genetische Beratung statt. Fachpersonen prüfen, ob in der Familie gehäuft Krebserkrankungen auftreten, in welchem Alter und ob bestimmte Muster erkennbar sind. Besteht ein konkreter Verdacht, wird bei der Krankenversicherung eine Kostengutsprache beantragt. Der Test – eine einfache Blutentnahme mit anschliessender Laboranalyse – ist teuer: Er kostet um die 3600 Franken. In der Regel deckt die Grundversicherung die Kosten. Getestet wird meistens die jüngste erkrankte Person in der Familie. Die Auswertung dauert mehrere Wochen.
In der genetischen Beratung erklärt die Genetikerin die Resultate. Idealerweise bespricht sie dabei auch, welche Konsequenzen sich daraus ergeben können. Hier ist Raum für Fragen und persönliche Abwägungen. Soll eine präventive Operation gemacht werden? Welche Kontrolluntersuchungen sind sinnvoll? Und: Sollte ich meine Verwandtschaft informieren? Auch bei KrebsInfo, dem Beratungsdienst der Krebsliga Schweiz, erhalten Betroffene und Angehörige Antworten auf ihre Fragen.
Ein schwieriges Gespräch
Wer eine Mutation trägt, hat eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, diese an Kinder weiterzugeben. Auch Geschwister, Eltern oder Cousinen und Cousins könnten betroffen sein. Doch dieses Wissen mit ihren Angehörigen zu teilen, fällt vielen schwer. Viele Betroffene fühlen sich alleingelassen.
Es gibt keine Pflicht zur Weitergabe der Information – aber eine Chance zur Vorsorge, die man der Familie nicht vorenthalten möchte. Ein allfälliges Gespräch mit den Angehörigen sollte gut vorbereitet werden und es lohnt sich, einen guten Zeitpunkt dafür zu wählen, zum Beispiel, wenn man selbst nicht gerade in einer Akutbehandlung steckt.
Begleitung von Familien verbessern
Laut Prof. Dr. Maria C. Katapodi, die an der Universität Basel auf diesem Gebiet forscht, gibt es auch mehrere strukturelle Herausforderungen: «In den meisten Ländern liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Krebsbehandlung und weniger auf der Prävention. Viele Personen, die ein vererbbares Risiko für Krebs haben, erhalten keine angemessene genetische Untersuchung und haben keinen Zugang zu den erforderlichen Dienstleistungen. Auch die kontinuierliche Betreuung der Betroffenen ist oft unzureichend.»
Seit 2017 untersuchen sie und ihr Team im von ihr gegründeten «CASCADE Consortium», wie Familien in der Schweiz mit einem genetischen Krebsrisiko begleitet werden. Katapodi möchte daraus Empfehlungen für ein verbessertes Versorgungssystem entwickeln, das proaktiv auf die Bedürfnisse dieser Menschen eingeht. Fachpersonen, Patientinnen und Patienten sowie Angehörige sind daran beteiligt – damit künftig Betroffene wie Linda die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.